Überlegungen zum '2009 Open Source CMS Report'

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Vor knapp zwei Wochen wurde der »2009 Open Source CMS Report« veröffentlicht (PDF-Download, 4 MB). Herausgeber sind die Agentur water&stone und das Internetmagazin CMSWire. Das Dokument umfasst mehr als 90 Seiten und versucht sich an einer Analyse der gängigen Open-Source Content-Management-Systeme bzgl. Verbreitung, Relevanz und Entwicklung.

Die Beobachtungen sind ganz spannend, wenn auch etwas einseitig. Einseitig deshalb, weil zum einen der durchschnittliche Nutzertyp sehr amerikanisch ist, und weil zum anderen nur die Umgebung der Systeme — z.B. Popularität, Nutzererfahrungen, Downloads, Suchmaschinen-Ranking, Aktivität in Social-Media-Umgebungen — berücksichtigt wird, jedoch nicht die Qualität und das Entwicklungspotential der Systeme selbst. Dennoch: Die Ergebnisse sind interessant, und hier kommen noch ein paar Überlegungen dazu:


Joomla!, WordPress, Drupal: Die Anführer

Joomla! gilt in Deutschland als nicht allzu bliebt. Zumindest nicht unter professionellen und/oder anspruchsvollen Webautoren. Dafür war das System lange Zeit zu starr, indem es vor allem tabellenlastige Webportale hervorbrachte. Für mein Empfinden gibt es bis heute nur wenige qualitativ hochwertige Webprojekte, die aus gutem Grund von Joomla! angetrieben werden (Hinweise werden gerne unten in den Kommentaren entgegen genommen!).
Vor allem in den USA scheint Joomla! jedoch sehr beliebt zu sein. Im CMS-Report hat es in vielen Punkten sogar die Nase vor WordPress, Tendenz steigend.

In diesem Jahr stellt sich heraus, dass Joomla! die Führung in mehreren Bereichen übernommen hat. [..] Es ist schwer, eine andere Schlussfolgerung zu ziehen als diese: Joomla! ist im Web das populärste Open-Source Content-Management-System.
CMS Report, Seite 57 (frei übersetzt)

Die enorme Verbreitung von WordPress bemerkt man bei jedem größeren Release: Blogs und Magazine springen oft am gleichen Tag auf, überall zwitschert es und der Download-Zähler läuft in kürzester Zeit zur Millionengrenze. WordPress ist schon lange nicht mehr nur Blogsoftware, sondern wird offensichtlich auch von vielen Internetdienstleistern für diverse Arten von Webprojekten herangezogen.

Drupal hat es in recht kurzer Zeit zu enormer Popularität geschafft. Das liegt vermutlich vor allem daran, dass das System auf Social-Media-Strukturen ausgerichtet ist und dadurch geschickter als viele andere Systeme den Aufbau von Communites unterstützt. Inzwischen ist Drupal sehr etabliert, hat eine große Entwickler- und Unterstützergemeinde, und es gibt viele Dienstleister, die kommerziellen Support anbieten. Interessantes Detail im CMS-Report: Drupal verfügt über die größte »Social-Media-Prominenz« der drei Anführer, was vor allem an der starkten Twitter-Aktivität der Drupal-Jünger liegt.


MODx: Auffällig im Mittelfeld

MODx ist ein noch recht junges System (2005), das bereits einige Aufmerksamkeit erhalten hat. Liest man sich durch die Bloglandschaft, bemerkt man schnell, dass das System offensichtlich sehr beliebt bei Freelancern und kleineren Webagenturen ist.

Im CMS-Report wird MODx vor allem aufgrund seiner Popularität und Nutzeraktivität als »Mover« betrachtet. In vielen anderen Disziplinen des Reports (z.B. Bekanntheit, Nutzererfahrung, Verbreitung) schneidet es noch nicht allzu gut ab. Dazu sollte aber auch folgendes beachtet werden:

Das Projekt schien in den vergangenen 12 Monaten ein paar Schwierigkeiten gehabt zu haben, die aber offensichtlich nun überwunden sind.
CMS Report, Seite 65 (frei übersetzt)

Nun, die Schwierigkeiten lagen darin, dass der Core von MODx für die kommende Version 2 vollkommen neu entwickelt wurde. Dabei kam es immer wieder zu Verzögerungen. Eine erste Beta-Version steht jedoch seit einiger Zeit zum Download bereit.
Sollte Version 2 überzeugend, was zu erwarten ist, kann MODx sicherlich weitere Sympathien sammeln und populärer werden.


TYPO3: Relevanz in USA vs. Europa

Liest man im Web über TYPO3, hat man meist den Eindruck, es handle sich um ein unglaublich professionelles und unglaublich weit verbreitetes System. Viele größere Websites wurden damals regelrecht von TYPO3 ins Web geboren und laufen teilweise noch heute damit. Die Macher selbst schätzen, dass es weltweit etwa 300.000 Installationen gibt. Fast scheint es, als sei TYPO3 eine Art Referenzsystem für kleine bis mittelgroße Internetagenturen, und TYPO3-Wissen ist für Webentwickler überaus wertvoll.

Im CMS-Report hingegen ist TYPO3 längst nicht so auffällig. Woran liegt’s? Kasper sagte neulich in einem Interview mit Telepolis folgendes:

In Deutschland sind sie verrückt nach Typo3, in Dänemark ein bisschen, in anderen Teilen der Welt weiß niemand, was Typo3 ist.
Kasper Skårhøj, 2009

Der CMS-Report ist vermutlich stark amerikanisch geprägt und möchte grundsätzlich global sein. Allein schon aus diesem Grund darf man nicht erwarten, dass TYPO3 zu den Anführern (»Leaders«) gehört.

Vielleicht kann die kommende Version 5 von TYPO3 einige Punkte auch außerhalb von Deutschland gut machen. Das System wird seit einiger Zeit vollständig überarbeitet, soll mit FLOW3 auf einem vernünftigen Applikations-Framework aufbauen (siehe auch »FLOW3 könnte die PHP-Welt auf den Kopf stellen«), mit Fluid eine sinnvolle Template-Engine erhalten, und es soll auch sonst viele neue Ideen einbringen. Sogar ein neues User-Interface wird es geben, siehe »Erste Einblicke in das neue User-Interface von TYPO3 5.0«.


Textpattern: Gefährdet?

Als Weblogs populär wurden, standen für kurze Zeit zwei Blogsysteme recht gleichwertig nebeneinander: WordPress (WP) und Textpattern (Txp). Textpattern galt dabei als schlanker, technisch sauberer und eleganter. Zudem wirkte es elitärer als WP, wurde es doch von einigen prominenten Webautoren eingesetzt.
In der Folgezeit bliebt Textpattern schlank und elegant, während WordPress massiv zunahm: An Funktionalität/Gewicht und an Beliebtheit. Daraus ergab sich für Textpattern in gewisser Weise das, was im CMS-Report so beschrieben wird:

Das Interesse an Textpattern schien Mitte 2005 am größten gewesen zu sein und hat seitdem stetig nachgelassen.
CMS Report, Seite 73 (frei übersetzt)

Am Ende des Reports wird Textpattern zur Liste der gefährdeten Projekte (»Projects At Risk?«, Seite 71) gezählt. Es schlage sich zwar noch recht gut im Blogumfeld, sei aber außerhalb kaum noch auffällig und relevant.

Aus Sicht eines Internetdienstleisters ist das durchaus nachvollziehbar: Textpattern ist im Vergleich zu anderen Content-Management-Systemen kommerziell nicht interessant genug. Denn aufgrund seiner geringen Verbreitung ist es inzwischen eher Nischenprodukt als Mainstream, jedoch fehlt die Spezialisierung und/oder die besonderen Merkmale, um auch als Nischenprodukt bestehen zu können. Einfach und elegant zu sein reicht nicht aus — kann in diesem Fall sogar kontraproduktiv sein. Nein, Textpattern fehlt sowas wie ein Killer-Feature, um wieder rocken zu können.

Download

2009 Open Source CMS Market Share Report, water&stone and CMSWire (2009), PDF, 4 MB

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